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PASSION – SEHNSUCHT DER FRAUEN

Süddeutsche Zeitung, Cornelia Fiedler, 06.10.2019

Schauspieldirektorin Anna Bergmann verweigert das Entweder-Oder und eröffnet die Spielzeit am Badischen Staatstheater Karlsruhe mit einer Collage, die von Boulevardkomik über kühles Erzähltheater bis zum Psychothriller alles kann. (…) Nach ihren Filmadaptionen "Szenen einer Ehe" und "Persona" verschneidet Bergmann diesmal gleich drei weitere Werke des schwedischen Existenzialfilmers (und Namensvetters) Ingmar Bergman miteinander. Die Leichtigkeit der Komödie "Sehnsucht der Frauen" trifft auf die Selbstzerfleischung aus "Passion" und die psychotischen Realitätsverschiebungen aus "Wie in einem Spiegel". Dadurch holt sie intime Konflikte, die in den Filmen aus der Isolation entstehen, auf der Bühne in eine sehr spezielle, gnadenlose Öffentlichkeit - in die der Familie. Erleichtert wird dies durch zwei wunderbare menschliche Eigenschaften: Ignoranz und Egozentrik. Jeder kreist hier so hingebungsvoll um sich selbst, dass die Geständnisse, Affären und Ausraster der anderen kurz als "Megastory" gewürdigt und nach einem weiteren Drink souverän beiseite geschoben werden. (…)

Bis zur Ankunft der Männer, die ihre Verspätung mit einer peinlichen A-capella-Version von Cyndi Laupers "Girls Just Want To Have Fun" zu überspielen versuchen, erzählen die Frauen: Dabei übersetzen Bergmann und ihre Dramaturgin Anna Haas zum Beispiel Martas Erinnerungen an ihre irre Verknalltheit in den selbstgerechten Künstler Martin in eine kitschig bunte, getanzte Lovestory zwischen Leander Senghas und Bea Brocks. Auch dass es in der Beziehung zwischen Anna (Sina Kießling) und Andreas (Thomas Schumacher) aus "Passion" an Spielraum fehlt, erzählen sie bereits durch die Form: In dieser Episode bewegen alle Beteiligten ihre Lippen synchron zu Tonaufnahmen aus dem Off. Fremdbestimmt agieren sie Rollen aus, die sie nicht erfüllen können und wollen. (…) Die stärkste und bedrückendste Geschichte spielt nach der Ankunft der Männer, nach der Willkommensparty, in den letzten Zügen des Rausches. Rakel kämpft mit einer schweren Psychose. Mutter, Ehemann und Schwester sind mit ihrem Driften zwischen der realen und einer nur für sie sichtbaren religiös-endzeitlichen Welt komplett überfordert. Sarah Sandeh gibt dieser jungen Frau in ihren wachen, diesseitigen Momenten eine so ungeheuer liebenswerte, zupackende Fröhlichkeit, dass klar wird: Sie klammert sich mit aller Kraft an diese Welt. (…) Nach knapp drei Stunden verlässt man das Theater mit einem Gefühl wie nach einem Binge-Watching-Serienmarathon: Es ist einfach etwas viel, vielleicht zu viel der menschlichen Abgründe für einen Abend gewesen. Man hätte vernünftig sein können und eine Episode früher abschalten - dagegen spricht aber schlicht der Suchtfaktor.

Lesen Sie die ganze Kritik hier.

Deutschlandfunk Kultur, Marie-Dominique Wetzel, 05.10.2019

Ein großer, praller und berührender Theaterabend

Nach „Szenen einer Ehe“ und „Persona“ – eingeladen zum diesjährigen Berliner Theatertreffen – bringt die Karlsruher Schauspieldirektorin Anna Bergmann wieder einen Stoff von Ingmar Bergman auf die Bühne. Und diesmal hat sie gleich drei seiner Filme zu einem Theaterabend verwoben.
Die Grundkonstellation stammt aus dem Film „Sehnsucht der Frauen“: Sieben Frauen aus einer großen Familie verbringen gemeinsam Zeit auf einer Schären-Insel und während sie auf ihre Männer warten, erzählen sie sich Geschichten aus ihren Leben. Geschichten von Liebe und Verrat, Demütigungen und Lebenslügen und vom Verlust geliebter Menschen.

Es ist vor allem ein Theaterabend der großen Gefühle, gespielt von einem bestens aufgelegten Ensemble, aus dem besonders das neue Mitglied, die Schauspielerin Sarah Sandeh, durch ihre einfühlsame Interpretation der Rolle der psychisch kranken Rakel Lobelius hervorsticht. Anna Bergmann traut sich große Gefühle und sie kann auch große Gefühle!

Lesen Sie die ganze Kritik hier.

Nachtkritik.de, Shirin Sojitrawalla, 05.10.2019

Dass manche Menschen eine größere Begabung zum Leben haben, ist eine traurige Vermutung, die einen nicht nur beim Schauen von Ingmar-Bergman-Filmen überfällt. "Das Leben ist das, was man daraus macht", heißt es prompt in seinem Film Sehnsucht der Frauen, der auszuloten versucht, wo das Existieren endet und das Leben beginnt. Die Karlsruher Schauspieldirektorin Anna Bergmann verschachtelt diesen Film mit zwei weiteren, Passion und Wie in einem Spiegel, dichtet aber auch hinzu und arrangiert um. Werke des schwedischen Meisterregisseurs hat sie schon mehrfach auf die Bühne gebracht: Ihre Adaption seines Films Persona war zum diesjährigen Theatertreffen eingeladen, und ihre Version von Szenen einer Ehe gehört zu ihren Erfolgsinszenierungen – 2014 in Lübeck herausgekommen, steht sie jetzt in Karlsruhe auf dem Spielplan. Bei Theateradaptionen von Filmen dieses Kalibers – ein ähnlicher Fall ist etwa Michael Haneke – sind einfallslose Kopien oder aus lauter Ehrfurcht kleinlaut geratene Abende zu befürchten. Zum Glück denkt Anna Bergmann gar nicht daran, Bergman nachmachen zu wollen, ganz im Gegenteil lässt sie ihn nach ihrer Pfeife tanzen, kontert ihn mit ihrer eigenen Regiehandschrift (...).

"Das Leben ist nicht immer so prima", sagt irgendwer in dieser Inszenierung. Für diese Erkenntnis braucht streng genommen niemand ins Theater gehen. Doch: Durchschnittlich zum Leben begabten Menschen bei ihren ausweglosen Begierden und sieglosen Kämpfen zuzusehen und sich gemeinsam den verzweifelten und jauchzenden Stimmungen, die das Leben so bereit hält, hinzugeben, allein das ist den Besuch wert.

Lesen Sie die ganze Kritik hier.

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