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BALLETT: CARMINA BURANA

Badisches Tagblatt, Nike Luber, 17.04.2018

35 Jahre nach der Uraufführung 1983 kehrte Germinal Casados Ballett zu Carl Orffs "Carmina Burana" auf die Bühne des Badischen Staatstheaters Karlsruhe zurück. Und erwies sich als umwerfend mitreißendes Spektakel, tänzerisch wie musikalisch . . . Bruna Andrade tanzt die Fortuna kraftvoll, mit präzisen, auf die rhythmisch prägnante Musik abgestimmten Bewegungen. Sie vermittelt eindrucksvoll die Macht des Schicksals. Stets im Kreis um sie herum tanzt das Ensemble, wie gefangen in einem Kreislauf zwischen Hoffnung und Furcht . . .

Ein wunderbar zartes, inniges Duett geben Moeka Katsuki und Pablo Octávio in der Beschwörung des Frühlings. An ausgelassene Tänze in den Mai lassen die Lieder unter der Überschrift "Uf dem Anger" denken. Die Solisten und Ensemblemitglieder illustrieren überzeugend das muntere Flirten und die verspielten Neckereien zwischen Männern und Frauen. Augenzwinkernd tragen die Tänzerinnen die erstaunt tuenden Tänzer - sonst liegen im Ballett die tragenden Rollen doch stets bei den Herren. Eine Prise Folklore verleiht den Ensembletänzern zu Orffs Musik einen geradezu unschuldigen Charme.

Gar nicht unschuldig geht es "In Taberna", also in der Kneipe, zu. Das verrät schon die Beleuchtung, und die kuttentragenden Mönche suchen ihre Erleuchtung in weltlichen Genüssen. Zhi Le Xu besticht durch ein grandioses, ausdrucksstark getanztes Solo. Im Zentrum der umher wirbelnden Mönche steht Andrej Shatalin, der diese Szene durch Präsenz mühelos beherrscht. Gekonnt ironisch fangen Pablo Octávio und das Ensemble den Geist des gebratenen Schwans ein, der sich bitter über sein Schicksal beklagt.

In "Cour d'amours" wird die höfische Minne beschworen. Ätherisch elegant getanzte Pas de deux stehen neben fröhlich ungenierter Partnersuche im Spiel der Liebe. Die Solisten und das Ensemble des Karlsruher Balletts geben die ohne Pause durchlaufende, schillernde Welt der "Carmina Burana" mit nie nachlassender Spannung.

Dabei werden sie musikalisch getragen von dem bestens einstudierten Opernchor. Geschickt positioniert hinter dem Gazevorhang mit dem aufgemalten Rad, vermittelt der Chor durchgehend klangschön die Wucht von Orffs Musik, aber auch die durchhörbaren, zurückgenommenen Lieder. Die Badische Staatskapelle unterstreicht den Farbenreichtum und die dezidierte Rhythmik der Musik. Souverän geben Agnieska Tomaszewska, Eleazar Rodrigues und Armin Kolarczyk die anspruchsvollen Soli. Auch der gelungene Auftritt von Cantus Juvenum wird gekonnt in das Bild integriert.

Für die Frische und das sprühende Temperament, das die Neuauflage der "Carmina Burana" ausstrahlt, muss man sich auch bei einer Reihe von "Altgedienten" bedanken. Neben Pierre Tavernier, der die Choreografie überwiegend aus seinem Gedächtnis abrufen und einstudieren konnte, sind das Aina Reijerink-Lagunilla für die Kostüme, Gerd Meier für die Beleuchtung und Ralf Haslinger für das Bühnenbild. Der Jubel des Premierenpublikums galt auch ihnen.

 

BNN, Susanne Schiller, 16.04.2018

Denkt man an Germinal Casado, so kommt einem unweigerlich „Carmina Burana“ in den Sinn. [Dem] Choreografen . . . und [seinen] Stücken ist jene kraftvolle Körperlichkeit eigen, die die rhythmische Dominanz der jeweils musikalischen Vorlage aufs Eindringlichste visualisiert . . . [Es] gelang ihm mit seinem 1983 entstandenen Ensemblestück sein wohl größter Wurf, der auch 35 Jahre nach seiner Uraufführung für langanhaltende Begeisterungsstürme sorgte.

. . . die musikalische Rückendeckung hinter dem Gazevorhang, auf dem das vormals skulpturale Schicksalsrad nun prangt, sorgt zweifellos für einen entscheidenden Energieschub. Noch nie war Casados Stück hier mit Opern- und Extrachor (Leitung Ulrich Wagner), sängerischem Kinderensemble (Cantus Juvenum), Staatskapelle und brillanten Gesangssolisten zu erleben, was zu jener szenischen Einheit führt, die dem Komponisten Carl Orff mit seiner Nähe zum Bewegungstheater sicher vorschwebte. Weit mehr als bei einer Aufführung mit Tonkonserve wird hier optisch fassbar, wie Stimme und Bewegung in der Choreografie verschmelzen. Die Gesangssolisten Agnieszka Tomaszewska, Eleazar Rodriguez und Armin Kolarczyk treten hervor und bleiben doch im Hintergrund, als Impuls und Widerhall der emotionalen Tanzsprache. Die Damen und Herren des Chores werden ins Licht gerückt, wenn das Tanzensemble quasi bildlich ihren Part übernimmt und unter der temporeichen musikalischen Leitung von Daniele Squeo zum packenden Bewegungschor wird. Sich dieser visuellen und akustischen Gewalt zu entziehen, ist schwerlich möglich . . .

Die ausdrucksstärksten Interpreten wählte Tavernier für die solistischen Parts aus, allen voran Bruna Andrade, zweifellos die Inkarnation der „Fortuna“ in der Truppe, die am Rad des Schicksals drehend mit kraftvollen Sprüngen und dämonischer Gestalt das Geschehen anheizt. Moeka Katsuki und Pablo Octavio geben mit Einfühlsamkeit das Liebespaar in „Primo Vere“ und Andrey Shatalin nutzt sein stattliches Auftreten beim heiteren Dorftreiben und „In Taberna“ als Partner von Su-Jung Lim und Eriko Yamada . . . Blythe Newman und Admill Kuyler führen den Liebesreigen, der pures sexuelles Verlangen ist.

„Carmina Burana“ ist wieder im Repertoire des Karlsruher Balletts – und das in dieser Sparten übergreifenden, opulenten Fassung. … Für das Publikum ist es ein sinnliches Erlebnis.

 

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